Ganz im Norden des Heidedorfes Schwalingen liegt der “Sandmann-Hof”,
Schwalingen No.29. Keine sichtbaren Zeichen lassen heute an ihm erkennen, dass
die Hofstelle schon vor 225 Jahren gegründet wurde. Aber es sind reichhaltige
Nachrichten überliefert, die von seiner wechselvollen Geschichte erzählen.
Die Regierung zu Stade berichtet nach dem Ende des
Siebenjährigen Krieges, daß die Herzogtümer Bremen-Verden durch den Krieg
merklich entvölkert seien und sich zu keiner Zeit in so außerordentlich elenden
Umständen befunden hätten, wie in diesen Jahren um 1765. Zahlreiche Plünde-
rungen, besonders der Raub von Korn und Getreide, die hohen Kosten für die
Einquartierungen, die vielen Kriegerfuhren, die Fourage, die Kriegsabgaben die das
Militär nicht selten von der Bevölkerung erpresste, waren hierfür die Ursache. In der
Folge fehlte dann den Bauern im Bremen-Verdischen das Korn für die Einsaat, das
Geld zum Ankauf des Notwendigsten. Hunger, Krankheit, Elend überall im Lande.
Auch an den Menschen im Kirchspiel Neuenkirchen, zu dem das Dorf
Schwalingen mit seinen rund 160 Einwohner gehört, geht das Leid nicht vorüber. Die
Bevölkerung des Kirchspiels schrumpft im Laufe des Krieges um fast 100 Menschen.
Lebten im Jahre 1756 knapp 1500 Menschen im Kirchspiel, so waren es bei Kriegs-
ende im Jahre 1763 noch 1400. Allein im letzten Kriegsjahr 1763 starben 63 Menschen
mehr als geboren wurden.
In dieser Zeit beschließen der 22jährige Häuslingssohn Claus Hinrich Bargfrede
aus Tewel und Clara Anne Cathrine Peters aus Schwalingen zu heiraten. Sie ist 24
Jahre alt und Tochter von Andreas Peter Peters, einem nachgeborenen Sohn vom
Schwalinger Halbhof „Greben“.
Nach der Hochzeit im Mai 1766 in der Kirche St.Bartholomäus zu Neuenkirchen
nimmt das junge Ehepaar in Tewel als Häuslinge Wohnung. Hier wir im Juni 1767
Sohn Hinrich Jacob geboren. Er stirbt früh. Als Claus Hinrich Bargfrede bessere
Lebens- und Arbeitsbedingungen im Nachbardorf Schwalingen findet, zieht er mit
seiner Familie in den Geburtsort seiner Ehefrau. Im Juni 1770 wird hier Tochter Clara
Anne Catharine geboren. Drei weitere Kinder folgen.
Inzwischen gibt es neue Hoffnung gerade für die ärmeren Menschen im
Kurfürstentum Hannover, dass sich ihre Lebensbedingungen verbessern mögen:
Georg III., König von Großbritannien und Irland und Kurfürst von Braunschweig-
Lüneburg verfügte im November 1768 für sein Kurfürstentum Hannover, dass dort
Bedingungen geschaffen werden, die Bevölkerung zu mehren und allen und jedem
seiner Untertanen Gelegenheit zu verschaffen, vermittelst ihres Fleißes und ihrer
Arbeit ihr gutes und austrägliches Auskommen zu erwerben. Das soll vor allem auch
durch die Ausweisung neuer Hofstellen und die Ansetzung neuer Bauern im ganzen
Kurfürstentum geschehen.
Schon kurz darauf, im Jahre 1770 erlebt Claus Hinrich Bargfrede, dass sich in
seinem Dorf Schwalingen der erste Neubauer ansetzt: Der Häusling Peter Christoph
Schröder, dessen Hofstelle die Schwalinger später den Hofnamen „Schoster“ geben
(heute Schwalingen No.1). Erst im Jahre 1786 folgt die Ansetzung von zwei weiteren
Neubauern in Schwalingen: Harm Reincken gründet den „Harm-Hof“ (heute
Schwalingen No.25) und Hinrich Christoph Röhrs den „Neebuur-Hof“ (heute
Schwalingen No.26).
Dass es 16 Jahre dauerte, bis nach der ersten Neubauerei weitere Neubauern in
die Dorfgemeinschaft aufgenommen wurden, hat seine Gründe: Die alteinge-
sessenen Schwalinger Reiheleute wehrten sich gemeinschaftlich standhaft gegen die
Versuche der kurfürstlichen Behörden, weitere gemeinheitsberechtigte Bauern im
Dorf anzusetzen. Sie fürchteten um ihre Existenzgrundlage, wenn mehr Bauern
erlaubt werden würde, ihr Vieh auf die gemeinsame Weide, die Gemeinheit, zu
treiben - wohl aber auch, ihre billigen Arbeitskräfte zu verlieren.
Carl Hinrich Bargfrede erlebt in den
folgenden Jahren, dass es den Familien der drei Neubauern im Dorf in ihrer
selbständigen Wirtschaft viel besser geht, als den abhängigen Häuslingen, zu denen
er gehört. Trotz des drohenden Widerstandes der Reiheleute beschließt er, sich
selbst in Schwalingen als Neubauer ansetzen zu lassen.
Tatsächlich verweigern die Schwalinger Reiheleute der Amtsvogtei
Neuenkirchen, dem neuen Amtsvogt Johann Adolf Otto Crome, die geforderte
Ausweisung einer weiteren Neubauerstelle für Carl Hinrich Bargfrede. Erst als dieser
unverhofft Hilfe durch einen der Reiheleute erhält, löst sich der Widerstand
weitgehend auf.
Es gelingt Claus Hinrich Bargfrede nämlich, von Peter Christoph Röhrs, Meier
auf dem Schwalinger Halbhof „Tönners“, einen Bauplatz für sein Wohnhaus zu
erwerben, 40 Schritte lang und ebenso breit. Der Platz liegt auf einem einem wüsten
Nebenhof des Halbhofes „Tönners“, direkt an der Dorfstraße, nahe dem Halbhof
„Schmeers“. Fast alle Schwalinger Reiheleute erklären sich damit einverstanden, dass
Claus Hinrich Bargfrede an dieser Stelle eine Neubauerei errichtet. Nur Hinrich von
Fintel, Halbhöfner auf dem nachbarlichen „Fintelmann-Hof“, macht Bedenken
geltend. Ihm liegt die neu entstehende Hofstelle zu nahe an seinem Halbhof, 40
Schritte nur entfernt. Aber Amtsvogt Crome lässt dieses Argument nicht gelten,
zumals es von den anderen Reiheleuten nicht unterstützt wird.
Da jedem neu angesetzten Neubauern gewöhnlich 1 Cahlenberger Morgen, etwa
0,26 Hektar Land zusteht, erhält Claus Hinrich Bargfrede neben seiner Hofstelle
noch ein Stück aus der Schwalinger Gemeinheit als Gartenland und Kohlhof zuge-
wiesen. Im November 1789 genehmigt die Königlich-Churfürstliche Kammer zu
Hannover mit Ausstellung des Meierbriefes den Anbau von Claus Hinrich Bargfred
als Neubauer in Schwalingen – gegen Zahlung der üblichen Neubauerabgaben an das
Amt Rotenburg. Seiner Hofstelle, ein Wohnhaus von 13,9m Länge und 10,4 m Breite,
geben die Schwalinger später den Namen „Sandmann“.
Nur knapp 5 Jahre später, im Februar 1794 stirbt Claus Hinrich Bargfredes
Ehefrau, Clara Anne Catharine, geb. Peters, im Alter von 51 Jahren. 4 ihrer 5 Kinder
haben das Erwachsenenalter nicht erreicht. Tochter Clara Anne Catharine ist bereits
25 Jahre alt.
Im Mai des folgenden Jahres 1795 verheiratet
sich Claus Hinrich Bargfrede erneut, mit Lucie Marie Becker aus Ilhorn, der
Tochter eines hannöverschen Corporals zu Celle. Seine älteste Tochter Clara
Anne Catharine aus der ersten Ehe setzt er als Anerbin seiner Neubauerstelle
„Sandmann“ ein.
Eineinhalb Jahre später ist Hochzeit auf dem „Sandmann-Hof“. Im
November 1796 heiraten Clara Anne Catharine Bargfrede, 26 Jahre alt, und der
28jährige Johann Christopher Langeloh, Köthnersohn aus Tewel. Die
Wirtsfamilie auf der Schwalinger Neubauerstelle „Sandmann“ heißt nun
Langeloh.
In den folgenden 30 Jahren werden auf dem „Sandmann-Hof“ 5 Kinder
geboren, wovon 4 aufwachsen, 2 Mädchen und 2 Jungen. Die Zukunft der
Familie von Johann Christopher Langeloh und seiner Ehefrau Clara Anne
Catharine scheint gesichert.
Da bricht im Frühling des Jahres 1826 das Unglück über sie herein. Ende
April erliegt ihr zweiter Sohn, Hinrich Christopher, im Alter von 18 Jahren einer
fiebrigen Krankheit. Nur zwei Monate später, im Juni 1826, kommt ihr ältester
Sohn und Anerbe Johann Hinrich bei einem schweren Unfall ums Leben – er
wird von durchgehenden Pferden gerädert.
Johann Christoph und Clara Anna Catharine Langeloh beschließen in ihrer
Not um die Zukunft ihrer Neubauerstelle, ihre letzte und jüngste Tochter Anna
Margarethe als Erbin einzusetzen. Ein gutes Jahr nach dem schweren
Schicksalschlag auf dem „Sandmann-Hof“, im Oktober des Jahres 1827, heiratet
Anna Margarethe Langeloh den nachgeborenen Sohn Hans Christopher Röhrs
vom Schwalinger Vollhof „Schnier“. Er ist 31 Jahre alt, sie selbst zählt 15 Jahre und
9 Monate.
Fast vier Jahrzehnte lebt und wirtschaftet Hans Christopher
Röhrs mit seiner Familie auf der Neubauerstelle „Sandmann“. 5 Kinder werden
geboren, 2 Mädchen, 3 Jungen. Die beiden Mädchen sterben in jungen Jahren.
Durch die Schwalinger Gemeinheitsteilung und Verkoppelung vergrößert sich
der Landbesitz der Neubauerstelle „Sandmann“ von Hans Christopher Röhrs
erheblich. Er brachte gut 3 Morgen Grundbesitz in das Verfahren ein und nennt nach
dessen Abschluss im Jahre 1857 insgesamt gut 32 Morgen sein Eigen.
Aber Hans Christopher Röhrs tritt in dieser Zeit die Neubauerqualität seiner
Hofstelle an seinen jüngeren Bruder Hans Hinrich Röhrs ab („Hanschen-Hof“, heute
Schwalingen No.40) und überträgt ihm auch den Großteil seines Grundbesitzes.
Vielleicht entscheidet er sich zu diesem Schritt aus gesundheitlichen Gründen.
Jedenfalls verkleinert er seine Wirtschaft auf eine Anbauerstelle mit 5 Parzellen von
insgesamt knapp 10 Morgen Land.
Bald darauf, im Jahre 1864, beschließt Hans Christopher Röhrs, das alte
Haus auf dem beengten Hofplatz dicht am Halbhof „Schmeers“ durch einen
kleineren Neubau zu ersetzen. Es wurde ja vor nun schon 75 Jahren, im Jahre
1789 vom Gründer des „Sandmann-Hofes“, Claus Hinrich Bargfrede, errichtet.
Beim „Großen Schwalinger Brand“ im Jahre 1857 blieb es knapp vom Feuer
verschont. Hans Christopher Röhrs und seine Familie sahen den nachbarlichen
Halbhof „Tönners“ in Flammen versinken, wie viele andere Hofstellen auch.
Der Neubau des „Sandmann-Hofes“ soll nicht nur kleiner werden, statt
13,9 x 10,4m nun 12,9 x 9,3m. Er soll auch nicht auf dem alten Platz dicht am
Halbhof „Schmeers“ entstehen, sondern einige hundert Meters weiter nördlich
in der Flur „Am Dorfe vor dem Stremel“. Hier hat Hans Christopher Röhrs auf
eigenem Land den Platz für seine neue Hofstelle des „Sandmann-Hofes“
Schwalingen No.29 festgelegt, gegenüber der Neubauerstelle „Ramaker“ von
Peter Böhling.
Das benötigte Geld um den Neubau zu bezahlen, kann Hans Christoph
Röhrs nicht aus seinem Vermögen aufbringen. Er leiht sich 300 Thaler vom
Halbhöfner Christoph Brooks zu Lieste hinzu und belastet als Sicherheit für das
Darlehen das neue Haus und seine Grundstücke mit einer Hypothek in gleicher
Höhe. Die Gebäudeversicherung für das neue Haus erhöht Hans Christpher
Röhrs von bisher 100 Thalern auf den Bauwert des neuen Hauses: 300 Thaler.
Hans Christopher Röhrs lebt und
wirtschaftet mit seiner Familie im neuen Haus seines „Sandmann-Hofes“ gerade
2 oder 3 Jahre, da trifft es in einem schweren Gewitter am 24.Juli 1867 der Blitz.
Ein großer Teil des Hauses ist ein Opfer der Flammen geworden, nur einige
Wände blieben stehen. Die beweglichen Sachen sind aber größtenteils gerettet.
Menschen und Tiere kommen bei dem Unglück nicht zu Schaden.
In dieser schweren Zeit trifft die Familie von Hans Christopher Röhrs noch
mehr Leid: Am Tag der amtlichen Tatbestandaufnahme zum Wohnhausbrand
stirbt die jüngste Tochter, Anna Margaretha, 19 Jahre alt.
Sein Gläubiger Christoph Brooks erklärt sich bereit, das Darlehen nicht
zurück zu fordern, sondern auf Haus und Hofstelle von Hans Christoph Röhrs
weiter stehen zu lassen. Damit kann die Versicherungssumme von 300 Thalern
an Hans Christopher Röhrs ausbezahlt werden – das Kapital für den
beabsichtigten umgehenden Wiederaufbau seiner Hofstelle
Nur sechs Monate nach diesen Ereignissen, im Februar des folgenden Jahres
1868, stirbt Hans Christopher Röhrs. Er wurde 73 Jahre alt.
Nach dem Tod ihres Ehemannes bleibt Anna
Margarethe Röhrs, geborene Langeloh, als Erbin auf dem „Sandmann-Hof“.
Wenige Jahre später, im Jahre 1876, Anna Margarethe Röhrs ist 65 Jahre alt,
verkauft sie ihren „Sandmann-Hof“ an die Familie ihrer Nichte Anna Engel
Maria Wohlberg, geborene Röhrs. Anna Engel Maria ist die Tochter von Hans
Hinrich Röhrs, Neubauer auf dem „Hanschen-Hof“ und der Bruder von Anna
Margarethe Röhrs verstorbenem Ehemann Hans Christopher.
Neuer Eigentümer des „Sandmann-Hofes“ ist nun Johann Christoph
Wohlberg, ältester Sohn vom Halbhof „Lümas“ in Schwalingen. Schon seit 1845
wird der „Lümas-Hof“ nicht mehr bewirtschaftet und im Jahre 1876 verhandelt
und aufgelöst. Aus dieser Masse wird Johann Christoph Wohlberg wohl das
Kapital erhalten haben, den „Sandmann-Hof“ von Anna Margarethe Röhrs, der
Tante seiner Ehefrau, zu erwerben.
Die Ehe von Johann Christoph Wohlberg und Anna Engel Maria bleibt
kinderlos. Am 23.12.1893, vier Tage vor seinem 68sten Geburtstag, verfasst
Johann Christoph Wohlberg auf seinem Sterbebett sein Testament. Er setzt als
Erben seine Ehefrau Anna Engel Maria, geborene Röhrs ein und seinen Neffen
und Pflegesohn Friedrich Heinrich Steffens. Friedrich Heinrich Steffens erbt die
Anbauerstelle „Sandmann“ zu Schwalingen No.29 mit allen Grundstücken
(knapp 10 Morgen) einschießlich allem Haus- und Feldinventar. Anna Engel
Maria bekommt ein Altenteil auf der Stelle zugesprochen.
Friedrich Heinrich Steffens ist der Sohn der verstorbenen Schwester von
Anna Engel Maria Wohlberg, geborene Röhrs. Als er sein Erbe im Frühjahr des
Jahres 1894 antritt, ist er 33 Jahre alt und Hausierer von Beruf. Seit 4 Jahren ist er
mit Anna Sophie Marie Bremer verheiratet, einer Haustochter vom Vollhof
„Hohlers“ zu Hertel und lebt mit seiner Familie in Schwalingen.
Der „Sandmann-Hof“ bleibt bis nach dem 2.Weltkrieg im Besitz der Familie
Steffens. Im Jahre 1952 erwirbt Eduard Heinrich Schröder aus Lünzen mit seiner
Ehefrau Frieda Maria, geborene Schönfeld aus Hemslingen und verwitwete
Gebers (Vollhof „Kain“ zu Schwalingen) die Anbauerstelle. Heute bewirtschaftet
die Familie Schröder ihren „Sandmann-Hof“ in dritter Generation.
Vom Häusling zum Neubauer.
Viele Jahrhunderte lang,
bis zum Jahr 1770,
bestand das Dorf
Schwalingen aus 18 Höfen.
Der Siebenjährige Krieg brachte viel
Leid über die Bevölkerung, auch im
hannöverschen Herzogtum Verden.
Die Lage der Neubauerstelle “Sandmann” auf einer Karte von 1840.
Die Lage der verlegten Anbauerstelle “Sandmann”auf einer Karte von 1870.
Die Lage der Anbauerstelle “Sandmann” auf einer Karte von 1899.
Die Wirtefolge der Neubauer- /Anbauerstelle “Sandmann”.
1789 - 1796
Claus Hinrich Bargfrede *1744 -
1796 - 1827
Johann Christopher Langeloh *1768 +1829
1827 - 1868
Hans Christopher Röhrs *1794 +1868
1868 - 1876
Anna Margarethe Röhrs geb.Langeloh *1811 +1886
1876- 1893
Johann Christoph Wohlberg *1825 +1893
1893 -
Friedrich Heinrich Steffens *1861 -
- 1952
Heinrich Friedrich Steffens *1891 -
1952 -
Eduard Heinrich Schröder *1903 +1993
Richard Schröder
Wolfgang Schröder
Die Anbauerstelle ‘Sandmann’
im Heidedorf Schwalingen